Discours de Bernadette Ségol - Neujahrsempfang des DGB Frankfurt am Main/Deutschland

Source: FNP.de- Photo- Bernd Kammerer

Bernadette Ségol Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschafts- Bundes

10. Januar 2015, Frankfurt

 

 

[Es gilt das gesprochene Wort]

 

 

Werte Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

das, was am Mittwoch gegen elf Uhr morgens in Paris geschah – das war ein barbarischer Anschlag auf die Herzkammer der Demokratie.

 

Ein Anschlag auf die Meinungsfreiheit und auf die Pressefreiheit.

 

Ein Anschlag ausgeübt von jungen, verblendeten und verführten Fanatikern. Im Namen einer Ideologie, die sich auf Gott beruft. Und nun auch noch die Geiselnahme in einem jüdischen Feinkostgeschäft in Paris.

 

Eine Ideologie, die die Religion mißbraucht, um Terror und Hass zu säen.

 

Auf den  mörderischen Anschlag auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ hat  die Zivilgesellschaft mit einer spontanen und beeindruckenden Mobilisierung geantwortet.

 

In Frankreich, in ganz Europa und nicht zuletzt in Deutschland. Der Widerstand der Zivilgesellschaft gegen alles, was Ideologie mit Hass und Gewalt verbindet, ist die einzig richtige Antwort.

 

Dieser Widerstand einigt uns. Und er muss nachhaltig sein.

 

Je suis Charlie. Nous sommes tous Charlie.

 

Und, als Französing lassen Sir mir für ihre Solidarität und Mitgefühl herzlich danken.  Merci beaucoup.

 

Und vergessen wir nicht : die Welt ist grösser als Europa. Vor zwei Tagen wurden in Lybien, so die tunesische Presse,  zwei tunesische Journalisten – Sofiene Chourabi and Nadir Ktari - von einer Terrorgruppe hingerichtet. Auch im Namen Gottes.

 

Ihren Familien und all denen, die in der arabischen Welt für Freiheit und Demokratie einstehen, gilt unsere Solidarität. Solidarität ist unteilbar.

 

Herr Oberbürgermeister,

meine Damen und Herren,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

lieber Harald Fiedler,

 

über die Einladung auf dem Neujahrsempfang des Frankfurter DGB zu sprechen, habe ich mich besonders gefreut und die Einladung sehr gerne angenommen.

 

Das hat gute Gründe. Einmal, weil meine Vorgänger, Emilio Gabaglio und John Monks Gäste des Frankfurter DGB waren.

 

Und im letzten Jahr war es der ehemalige stellvertretende Generalsekretär des EGB, Reiner Hoffmann. Der ist uns leider abhanden gekommen und sitzt nun in Berlin.

 

Das dokumentiert die Verbundenheit des hiesigen DGB mit der Europäischen Gewerkschaftsbewegung.

 

 Zum zweiten: Frankfurt ist der Sitz einer unserer wichtigsten Institutionen, der Europäischen Zentralbank.

 

Und schließlich – das freut mich ganz besonders – ist Frankfurt auch der Sitz der Europäischen Akademie der Arbeit. Sie wird, wie ich hoere, demnächst ein neues Gebäude beziehen, das von der IG Metall finanziert wird.

 

Nicht nur das Gebäude wird neu sein, sondern auch der Name: House of Labor, ein Kontrapunkt zum Frankfurter House of Finance.

 

Ich als Französin sage es mal auf Deutsch: Dem „Haus des Geldes“ steht nun das „Haus der Arbeit“ ins Haus.

 

Das ist ein in Europa einmaliges Projekt und in gewisser Weise ein Kind der deutschen Mitbestimmung.

 

Aber nun, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen ein Wort zu Maria.

 

Maria ist 70 Jahre alt. Sie hat ihr ganzes Leben gearbeitet. Sie erhält eine Monatsrente von 500 Euro. Vor zwei Jahren waren es noch 720 Euro. Maria ist Griechin.

 

Sie weiß nicht mehr, wie sie über die Runden kommen soll. Sie ist wütend auf die Troika, die viele Menschen als ein Triumvirat wahrnehmen.

 

Sie ist wütend auf eine Politik, die die Sanierung des griechischen Staatshaushaltes denen auferlegt, die sich nicht wirklich zur Wehr setzen können. Europa hat für viele Menschen, vor allem in den am meisten von der Finanzkrise betroffenen Ländern, zwei Hauptdarsteller: die Austerität und das Spardiktat.

 

Die Griechen werden in gut vierzehn Tagen ein neues Parlament wählen. So will es die griechische Verfassung. Sofort hat der Internationale Währungsfonds reagiert und die nächste Tranche des Kredits auf Eis gelegt.

 

Politiker aus Brüssel, aber auch aus Berlin haben sich direkt oder indirekt an die griechischen Wähler gewandt. Das griechische Wahlvolk soll „richtig“ wählen.

 

Ich gehe mal davon aus, dass die Griechen das wählen, was sie für richtig halten. Das wird zu respektieren sein.

 

Einmischung von außen durch den Aufbau eines Bedrohungszenarios gehört nicht zum Wertekanon der Europäischen Gemeinschaft.

 

Die große Frage ist: wie kriegen wir Europa wieder in die Spur ?

 

Wahr ist: die Geschichte der Nationalstaaten ist keine glorreiche.

 

Und wahr ist auch: Europa brauchte zwei schreckliche Weltkriege, bevor es zur Vernunft kam und sich auf den Weg zur Europäischen Union machte. Europa ist und bleibt ein Friedens- und ein Demokratieprojekt.

 

Aber: es reicht längst nicht mehr aus, auf die Geschichte zu verweisen. Die Menschen erwarten von der europäischen Politik entschlossenes Handeln zur Überwindung einer Krise, die das Konzept von Europa ins Wanken bringt.

 

Dieses Konzept wird zunehmend auf die Wirkung der Märkte verkürzt. Das Risiko wird immer grösser, daß der solidarische Sozialstaat mehr und mehr ins abseits gerät.

 

Banken sanieren und soziale Standards ruinieren – dem muss sich die europäische Gewerkschaftsbewegung entschlossen entgegenstellen.

 

Es kann nicht sein, daß ökonomische Freiheiten erst und die Grundrechte danach kommen. Das ist eine Perversion des europäischen Gedankens.

 

Der Europäische Gewerkschaftsbund ist vor gut 40 Jahren gegründet worden. Dieses gemeinsame Haus ist eine fortwährende Baustelle.

 

Der Schritt vom nationalen Denken hin zum supranationalen Handeln ist auch für Gewerkschaften keine Kleinigkeit.

 

Aber – und das gibt mir Anlaß zum Optimismus – die Einsicht in die Notwendigkeit von Geschlossenheit und Entschlossenheit steigt.

 

Und nach wie vor gilt, was mal Ernst Breit, der auch einige Jahre Vorsitzender des EGB war, gesagt hat: „Gewerkschaften laufen immer dann zu großer Form auf, wenn sie mit dem Rücken an der Wand stehen“. 

 

Ernst Breit war ein besonnener Mann. Er hat allerdings nicht „Rücken“ gesagt.

 

Mit der neuen Kommission unter Jean-Claude Juncker verbinden wir Hoffnungen: Und an diese Kommission richten wir unsere Forderungen und Vorschläge.

 

Unsere Begeisterung über den Start der neuen Kommission, die seit November im Amt ist, hält sich dennoch in gewissen Grenzen.

 

Die Kommission kündigte einen „Neuen Start für Europa“ an – eine Politik für mehr Beschäftigung, Wachstum, Fairness und mehr Demokratie.

 

Angesichts von 25 Millionen Arbeitslosen und  Millionen von Menschen, die hart an der Armutsgrenze leben, ist ein radikaler Politikwechsel alternativlos.

 

Das könnte von Frau Merkel sein. Ist es aber nicht.

 

Der Stand jetzt ist: Juncker hat ein Investitionsprogramm von 300 Milliarden Euro für Wachstum und Beschäftigung angekündigt.

 

Aber bislang hat die Kommission nicht wissen lassen, woher das Geld kommt und wie es eingesetzt werden soll.

 

Es ist wohl wieder so wie so oft: einige Politiker in den Mitgliedsstaaten stehen mit beiden Füssen auf der Bremse.

 

Und der zuständige Kommissar weigerte sich, zielgerichtete Fragen von Mitgliedern des Europäischen Parlaments zu beantworten.

 

Was er aber sagte,  das verschwand im Nebel: sensitive Finanzinstrumente und öffentlich-private Partnerschaften würden es schon richten.

 

Klar ist: Ohne öffentliche Investitionen wird es nicht gehen.

 

Wir fordern, über einen Zeitraum von zehn Jahren jährlich zwei Prozent des Bruttosozialprodukts einzusetzen, um den Schaden auszugleichen, den die sogenannte Finanzindustrie angerichtet hat.

 

Und noch eins: es kann nicht sein, daß Unternehmen wie Starbucks, Amazon oder Apple sich die Nase vergolden, weil sie ihre Gewinne über Konzessionsverträge in europäische Steueroasen verschieben.

 

Am Ende liefern sie proportional weniger Steuern ab als eine Frau, die anderen Leuten die Wohung sauberhält.

 

Ich verwende nicht oft und gerne das Wort „Skandal“.

 

Das aber ist einer. Auch hier ist die europäische Politik gefordert.

 

Auch wir sind für Stabilität. Darunter verstehen wir soziale Sicherheit, gute Arbeitsbedingungen, faire Löhne, sichere Arbeitsplätze.

 

Dazu brauchen wir Wachstum. Und um Wachstum zu generieren, brauchen wir öffentliche Investitionen.

 

Wir sind für einen starken Staat und eine sozial ausgerichtete Marktwirtschaft. Wir werden nicht akzeptieren, daß Freihandel zu einer Aushöhlung von Rechten und sozialem Fortschritt mißbraucht wird.

 

Was das transatlantische Freihandelsabkommen angeht, so stehen wir in fortlaufender und enger Konsultation mit dem amerikanischen Gewerkschaftsbund.

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

Die Arbeitsmärkte wachsen vor allem an den Rändern: im Jahre 2012 war die Hälfte aller Neueinstellungen mit Zeitarbeitsverträgen gekoppelt – die meisten davon keineswegs freiwillig.

 

In manchen Sektoren waren es bis zu 70 Prozent. Das trägt zur sozialen Destabilisierung bei. Das führt aber auch zur Dequalifizierung und Prekarität.

 

Für die Gewerkchaften in ganz Europa – auch in Deutschland – sind die Verhältnisse auf den Arbeitsmärkten eine große Herausforderung.

 

 Diejenigen, die  über ein hohes Beschäftigungsniveau jubilieren, sollten genauer hinschauen: es ist vor allem der Niedriglohnsektor, der Zuwachs verzeichnet.

 

 

Und die Methode „Rent a worker“ unterwandert nicht zuletzt in grossen Unternehmen das, was wir als Normalarbeitsverhältnis begreifen. Die in diesen Segmenten Beschäftigten brauchen die Solidarität der Betriebsräte und gewerkschaftliche Organisation. Auf dieser Baustelle gibt es für uns noch viel zu tun. Auch bei uns muß ein Lernprozess einsetzen, damit unsere Organisationsmethoden den sich fortlaufend veränderten Verhältnissen am Arbeitsmarkt gerecht werden.

 

Wir müssen neue Wege aufmachen und uns um neue Methoden bemühen. Das Beratungsbüro des DGB auf dem Campus der Frankfurter Universität ist ein gutes Beispiel für organisatorische Kreativität.

 

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

es hat lange gedauert, bis auch Deutschland einen Mindestlohn eingeführt hat. Nicht zuletzt ist dies dem Druck der deutschen Gewerkschaften zu danken.

 

Daß es nun einige gibt, die Ausnahmen vom Mindestlohn zur Regel machen wollen und in die rechtliche Trickkiste greifen – das verwundert  nicht und war zu erwarten.

 

Das real existierende Wirtschaftssystem muß sich an seinen eigenen Ansprüchen messen lassen. Wenn der DGB „gute Arbeit“ sagt, dann meint er damit sicher angemessene Löhne und gute Arbeitsbedingungen.

 

Unternehmen,  die im Dienstleistungsektor operieren oder zum Beispiel Schlachthöfe betreiben und ihre Beschäftigten zu unerträglichen und menschenunwürdigen Dumpingkonditionen arbeiten lassen, sind eine Bankrotterklärung für das real existierende Wirtschaftssystem.

 

Die Europäische Union hat keine Kompetenz in der Lohnpolitik, die in der Zuständigkeit der Tarifparteien liegt.

 

Die deutschen Gewerkschaften haben sich immer gegen jede Art der Intervention der Politik in ihre Tarifpolitik verwahrt.

 

Die EU nun verlegt sich auf sogenannte lohnpolitische Empfehlungen und die Troika platziert solche Empfehlungen in bilaterale Vereinbarungen vor allem mit den Krisenstaaten.

 

In den vergangenen vier Jahren haben 19 Mitgliedsstaaten tarifpolitische Empfehlungen erhalten. So sollen Belgien, Luxemburg, Malta und Zypern die Indexierung abschaffen.

 

Den Schweden wurde empfohlen, durch eine höhere Lohnspreizung den Niedriglohnsektor auszuweiten.

 

Auch wenn es nur „Empfehlungen“ sind, so handelt es sich dennoch um den Versuch, die Autonomie der Sozialpartner zu begrenzen.

 

Dem werden wir uns weiterhin geschlossen widersetzen. Die Tariffreiheit und die Autonomie der Sozialpartner gehören zur Grundausstattung der Europäischen Union.

 

Wir brauchen keine Gouvernanten und auch kein betreutes Verhandeln. 

 

Nun noch eins zum Schluß, liebe Kolleginnen und Kollegen. Überall in Europa machen sich Rattenfänger auf den Weg, um aus der zunehmenden Unsicherheit, der Hilflosigkeit und der Ratlosigkeit vieler Menschen politisches Kapital zu schlagen.

 

Rechtspopulisten, Demagogen, Ausländerfeinde, Antisemiten, Rassisten und Faschisten. Das ist nun auch in Deutschland angekommen.

 

Und wieder werden Sündenböcke gebraucht. Wahlweise der Islam, der Juden, der Zuwanderer, der Flüchtling, der Asylant und nicht zuletzt Europa.

 

Einige wollen zurück in das kuschelige nationale Heim. Das ist so bei der UKIP in Großbritannien und beim Front National.

 

Wir müssen zur Kenntnis nehmen: diese Kräfte finden zunehmend Zuspruch auch in der Arbeiterschaft. Das ist eine Herausforderung nicht nur für die demokratischen Parteien, sondern auch für die Gewerkschaften.

 

Der Europäische Gewerkschaftsbund und alle seine Mitgliedsorganisationen werden diese Herausforderung aufnehmen.

 

Wenn in einer Stadt wie Dresden, die einen Ausländeranteil von etwas mehr als zwei Prozent hat, jeden Montag Tausende auf die Straßen gehen

 

und so tun, als stünde das sogenannte christliche Abendland am Abgrund

 

und die Burka würde demnächst Standardbekleidung für Frauen

 

 – dann läuft etwas in eine absurde und falsche Richtung.

 

Und so mancher Politker im rechten Nadelstreifen schürt das Feuer und kamoufliert das Ganze mit vermeintlicher Seriösitat.

 

Professoren sollen auch dabei sein.

 

Abwarten und beiseite stehen – das kann nicht unsere Antwort sein.

 

Der beeindruckende Dom in Köln hat noch nie so gestrahlt, als er aus gegebenem Anlaß ins Dunkel getaucht wurde.

 

Wir müssen im Bündnis mit der Zivilgesellschaft diese Bewegung selbstbewusst bekämpfen. Wir müssen klar machen, daß dieses Europa kein Sammelsurium von Nationalisten ist,

 

daß wir es verteidigen und weiter entwickeln werden,

 

daß die europäische Bürgergesellschaft multinational ist und bleibt,

 

daß der Islam eine Religion in Europa ist,

 

daß Europa laizistisch ist und daß Europa die Augen vor der Welt nicht verschließen darf: Kriege und Terrorismus anderswo gehen uns alle an.

 

Das Recht auf Asyl und das auf Freizügigkeit bleiben  europäische Grundrechte.

 

 

Es gibt viel zu tun. Packen wir es gemeinsam an.

 

 In diesem Sinne uns allen ein gutes, erfolgreiches und gesundes Neues Jahr.

 

Und ganz zum Schluß noch eine Bitte: wenn ihr das „Haus der Arbeit“ einweiht, dann vergesst uns nicht. Wir kommen !

 

 

12.01.2015
Discours