Die Entsenderichtlinie: Vorschläge für die Revision

Brüssel, 09-10/03/2010

{{Die Europäisierung der Arbeitsmärkte erfordert strenge und faire ‚Spielregeln’

}}Seit 2005 hat der EGB in einer Reihe von Stellungnahmen eindringlich die Erarbeitung eines Rahmens strenger und fairer Regeln auf nationaler und europäischer Ebene gefordert, die offene Grenzen und einen angemessenen Arbeitnehmerschutz miteinander verbinden und die Entstehung eines wirklichen Binnenmarkts flankieren, in dem sich Waren, Kapital, Dienstleistungen und Arbeitnehmer zum Vorteil der Bürger, Volkswirtschaften und Gesellschaften frei bewegen können.

Nach Meinung des EGB erfordert ein europäischer Arbeitsmarkt europäische ‚Spielregeln’, die offene Grenzen mit angemessenem Schutz verbinden.
Die wichtigsten Bedingungen sind:
Gleichbehandlung einheimischen und ausländischen (Wander-) Arbeitnehmern, kein unfairer Wettbewerb auf Grundlage des Entgelts und der Arbeitsbedingungen
Einhaltung nationaler Tarifverträge und der Arbeitsbeziehungen
Gleichberechtiger Zugang zu Sozialleistungen für alle Arbeitnehmer
Geeignete Instrumente und Werkzeuge zur Überwachung und Durchsetzung von Arbeitsnormen.

Die jüngsten Entwicklungen verleihen dieser Debatte noch größere Dringlichkeit, da die Finanzkrise sich auf die Realwirtschaft auswirkt, die Arbeitslosigkeit zunimmt, die öffentlichen Haushalte unter Druck sind und die Arbeitnehmer überall in Europa den Preis dafür zahlen.

Auch wenn aus wirtschaftlicher Sicht offene Grenzen und Märkte innerhalb der EU für eine schnelle Wiederherstellung von Europas Wettbewerbsposition sehr wichtig sind, fragen sich die Arbeitnehmer überall in Europa, was für sie dabei herausspringt. Es gibt derzeit schwere Probleme mit den Nebenwirkungen des Binnenmarkts und der zunehmenden grenzübergreifenden Mobilität der Unternehmen und Arbeitnehmer, die dringende Maßnahmen erfordern, da sie den sozialen Zusammenhalt und die Unterstützung für das europäische Projekt bedrohen. Nicht nur die Finanzmärkte, sondern auch die reale Wirtschaft und die Arbeitsmärkte brauchen beträchtliche Maßnahme zur Wiederherstellung des Vertrauens.

Auf nationaler Ebene werden die Stimmen immer lauter, die fordern, man müsse sich auf eine bessere ‚Abschirmung’ der nationalen Arbeitsbeziehungen und sozialen Sicherungssysteme vor der ‚Invasion’ des Binnenmarktrechts konzentrieren.
Andere betonen die Notwendigkeit, einen EU-weiten Ansatz zu erarbeiten und fordern zu diesem Zweck harmonisierte Bestimmungen und/oder (Mindest-)Standards im sozialen Bereich.

In diesem Kontext spielt die Entsenderichtlinie eine wichtige Rolle. Sie, die einmal als Kerninstrument gesehen wurde, um unfairen Wettbewerb auf Grundlage des Entgelts und der Arbeitsbedingungen bei der zeitweiligen grenzübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen zu verhindern, hat sich mittlerweile zum Schlachtfeld gewandelt, auf dem der Kampf um die soziale Dimension des Binnenmarkts ausgetragen wird.
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Die jüngsten Urteile des EuGH haben die Schwächen des EU-Rechtsrahmens offengelegt

}}Vier jüngste Urteile des EuGH[[Viking C-438/05; Laval C-341/05; Rüffert C-346/06; Kommission gegen Luxemburg C-319/06. Zu Zusammenfassungen der Urteile siehe: http://www.etuc.org/etuc-demand-social-progress-protocol
]] haben die Schwächen des aktuellen EU-Rechtsrahmens offenbart, der für die sozialen Grundrechte und den freien Personen- und Dienstleistungsverkehr gilt.

Sie haben zu beträchtlichem sozialen Unfrieden geführt und gefährden die Modelle der Sozialpartnerschaft.
Der EuGH bestätigt die Hierarchie von Normen, bei der die Marktfreiheiten an der Spitze stehen und die sozialen Grundrechte auf Tarifverhandlungen und Arbeitskampfmaßnahmen untergeordnet sind
Der EuGH hat die Entsenderichtlinie (die sich auf Arbeitnehmer im Rahmen der grenzübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen bezieht) sehr restriktiv ausgelegt und so die Möglichkeiten für die Mitgliedsstaaten und Gewerkschaften begrenzt, Maßnahmen und Aktionen gegen ‚Sozialdumping’ durchzuführen[[‚Sozialdumping’ ist unfairer Wettbewerb auf Grundlage des Entgelts und der Arbeitsbedingungen, der zu einer Abwärtsspirale führt.]] und einen besseren Schutz und Gleichbehandlung für einheimische und Wanderarbeiternehmer im Gaststaat zu verlangen.

Der EGB hat infolgedessen ein Protokoll zum sozialen Fortschritt als Anhang der Verträge gefordert, um unmissverständlich klarzustellen, dass alle Freizügigkeits-Bestimmungen der Verträge unter Anerkennung der Grundrechte auszulegen sind, und um dies in ein weitergehendes Konzept von sozialem Fortschritt und Harmonisierung nach oben der Arbeitsbedingungen und Sozialsysteme einzubetten.
Die neuen EU-Verträge (in Artikel 3 (3) Absatz 3) besagen ausdrücklich: „Die Union wirkt auf (….) eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Markwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt, (…) hin.

Ziel dieses Protokolls wäre, den Zusammenhang zwischen dem Binnenmarkt und sozialen Grundrechten zu klären.
{{ {
Es sind weitere Arbeiten erforderlich, um die Möglichkeiten zu sondieren, unsere Forderungen zur Bestätigung des sozialen Fortschritts als klares, rechtsverbindliches Ziel des Binnenmarkts auf der politischen Agenda der Europäischen Union zu platzieren.
Der frühere Kommissar Monti, der derzeit an einer Überprüfung der Lage des Binnenmarkts bezüglich seiner sozialen Dimension arbeitet, wurde aufgefordert, unsere Forderungen zu berücksichtigen.
} }}
Des Weiteren hat der EGB eine Revision des EU-Rechtsrahmens über die Freizügigkeit von Arbeitnehmern und Dienstleistungen gefordert und insbesondere eine dringende Revision der Entsenderichtlinie.
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Die Entsenderichtlinie muss geändert werden, um ihre Ziele besser zu erfüllen
}}
In der Entschließung und dem beigefügten erläuternden Memorandum als Reaktion auf die Urteile in den Rechtssachen Viking und Laval, die der Vorstand des EGB bei seiner Sitzung am 4. März 2008 verabschiedet hat, äußert sich der EGB unter anderem zur Dringlichkeit, die Entsenderichtlinie zu ändern, und führt eine Liste von Kernthemen auf, die behandelt werden müssen.

Seitdem wurde diese Forderung vertieft. In seiner „Entschließung zu den Bedingungen für die Freizügigkeit: Mehr Schutz für Arbeitnehmer und fairen Wettbewerb“, die der Vorstand des EGB am 28. April 2009 verabschiedet hat, fordert der EGB:
{“… dass die Entsendungsrichtlinie mit Blick auf ihr grundlegendes Ziel revidiert wird: ein Umfeld fairen Wettbewerbs und der Achtung der Arbeitnehmerrechte zu gewährleisten. Verschiedene Themen müssen überarbeitet werden, einschließlich insbesondere der rechtlichen Grundlage, der Definition eines entsandten Arbeitnehmers und von grenzübergreifenden Dienstleistungen, der Möglichkeit für die Mitgliedstaaten den Schutz von Arbeitnehmern als „öffentliche Ordnung“ zu etablieren und der Achtung der Gewerkschaftsrolle bei Verhandlungen und der Umsetzung von Tarifverträgen. Besondere Aufmerksamkeit muss den Verfahren der öffentlichen Vergabe gelten und der Möglichkeit öffentlicher Behörden, soziale Klauseln einzuführen, mit denen die Beachtung der örtlichen Tarifverträge erwirkt werden kann.
}
Eine EGB-Expertengruppe von Gewerkschaftssachverständigen und Akademikern, die Anfang 2009 eingerichtet wurde, erhielt den Auftrag, die rechtlichen und technischen Aspekte dieser Vorschläge weiter zu vertiefen.
Die Expertengruppe hat ihre Arbeit vor kurzem abgeschlossen. Auf Grundlage der in der Expertengruppe geführten Diskussionen wurden acht Vorschläge zur Revision und Stärkung der Entsenderichtlinie formuliert (siehe unten).
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Der politische Kontext
}}
Aufgrund der jüngsten Entwicklungen auf Ebene der EU-Politik steht der EGB unter zunehmendem Druck, detaillierte Vorschläge für die Revision der Entsenderichtlinie zu unterbreiten. Gleichzeitig scheint das politische Klima nicht sonderlich günstig, um die notwendigen Verbesserungen leicht erreichen zu können.

In seiner Rede vor dem EP äußerte sich Barroso am 15. September, nachdem vor allem die sozialdemokratische Fraktion im EP großen Druck auf ihn ausgeübt hatte, wie folgt über die Entsendung:
{“Ich habe mein Engagement für die Einhaltung der sozialen Grundrechte und den Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer klar geäußert. Die Auslegung und Umsetzung der Entsenderichtlinie sind in beiderlei Hinsicht unzulänglich. Aus diesem Grund verpflichte ich mich, schnellstmöglich einen Verordnungsentwurf vorzulegen, um die aufgetretenen Probleme zu lösen. Diese Verordnung wird durch das Mitentscheidungsverfahren im EP und Rat gehen. Eine Verordnung bietet den Vorteil, dass sie viel größere Rechtssicherheit als die Revision der Richtlinie bietet, die noch immer zuviel Raum für eine abweichende Umsetzung in nationalem Recht lassen und zu lange brauchen würde, bis sie vor Ort echte Wirkung zeigt. Sollten wir während der Erarbeitung der Verordnung feststellen, dass es Bereiche gibt, in denen wir die Richtlinie überprüfen müssen, werde ich nicht zögern, dies zu tun. Und lassen Sie mich eins klar sagen: Ich bin entschlossen, Sozialdumping in Europa zu bekämpfen, in jedweder Form.”
}
Eine erste Bewertung der Themen, die Gegenstand einer Verordnung sein könnten, zeigt, dass Probleme wie der irreführende Einsatz entsandter Arbeitnehmer in nicht vorübergehenden Situationen, die Nutzung von Briefkastenfirmen und das Instrument der Kettenhaftung behandelt werden könnten sowie größere Möglichkeiten für die Sozialpartner und Mitgliedsstaaten, Durchsetzungsinstrumente und -mechanismen (z.B. das Führen von Aufzeichnungen etc.) anzuwenden. Je strittiger diese Themen jedoch sind, umso schwieriger wird es sein, eine Einigung im EP und Rat zu erreichen (weshalb der gesamte Vorgang der Suche nach einer Einigung bei der Revision der Richtlinie gleichkommt).

Inzwischen wurde die neue Kommission ernannt und Andor, der neue Kommissar für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten, ist im Amt. In seinem Austausch mit dem Europäischen Parlament war er eher zurückhaltend und hat sich nicht klar über seine Pläne zur Entsenderichtlinie geäußert. Binnenmarkt-Kommissar Barnier hingegen sagte, er sei für eine offene Debatte zur Entsenderichtlinie, und er wird sicher nicht mit etwas in Verbindung gebracht werden wollen, das zu sozialem Rückschritt führt.
In der Zwischenzeit arbeiten die Dienststellen der Kommission zusammen mit den Mitgliedsstaaten und mit den Sozialpartnern als Beobachtern in einer hochrangigen Expertengruppe, über die Umsetzung der Entsenderichtlinie in der derzeitige Probleme untersucht werden und es können mögliche Bündnisse mit den Mitgliedsstaaten in dieser Sache aufgebaut werden.

Im Europäischen Parlament haben sich die Mehrheitsverhältnisse nach den Wahlen im letzten Jahr geändert. Die Konservativen verfügen über eine solide Mehrheit, die es schwierig machen wird, eine Mehrheit für soziale Fragen zu erreichen.

In den jüngsten Gesprächen mit den Arbeitgebern über die Auswirkungen der EuGH-Fälle (siehe TOP 9) konnten wir keinerlei Fortschritt bezüglich der Entsenderichtlinie oder anderen verwandten Fragen erreichen.

Andererseits hat der spanische Vorsitz angekündigt, Mitte März in Oviedo eine Konferenz zum Verhältnis zwischen sozialen Grundrechten und Wirtschaftsfreiheiten organisieren zu wollen, bei der unter anderem die Entsenderichtlinie zur Debatte stehen soll, und hat sich unmissverständlich verpflichtet, unfairen Wettbewerb auf Grundlage von Lohnunterschieden zwischen Ländern verhindern und die notwendigen Maßnahmen ergreifen zu wollen, um die Arbeitnehmerrechte im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit zu gewährleisten.

{{ {In diesem Kontext schlägt der EGB vor, eine Liste der zu behandelnden Kernfragen zu erstellen, die die detaillierten Verbesserungsvorschläge der Expertengruppe berücksichtigt [[. Der Expertenbericht ist momentan nur ein Dokument für die interne Debatte des EGB.
]], und als Leitlinie für die weitere Arbeit des EGB und seiner Mitgliedsverbände bei Kampagnen für die Revision der Entsenderichtlinie dient, damit diese die Arbeitnehmer besser schützt und fairen Wettbewerb im Binnenmarkt für Dienstleistungen sicherstellt.
} }}

{{Kernfragen und Vorschläge für die Revision
}}
Gemäß der Präambel der Entsenderichtlinie gehört die Beseitigung von Hindernissen für den freien Personen- und Dienstleistungsverkehr zu den Zielen der Gemeinschaft und Einschränkungen aufgrund der Staatszugehörigkeit oder Wohnsitzvoraussetzung sind unzulässig.
Es heißt jedoch weiter: ‚Voraussetzung für eine solche Förderung des länderübergreifenden Dienstleistungsverkehrs sind ein fairer Wettbewerb sowie Maßnahmen, die die Wahrung der Rechte der Arbeitnehmer garantieren.’
Um Klarheit über das anzuwendende Recht zu erhalten, müssen ‚die Gesetze der Mitgliedsstaaten koordiniert werden’ , um ‚einen Kern zwingender Bestimmungen über ein Mindestmaß an Schutz festzulegen, das im Gastland von Arbeitnehmern zu gewährleisten ist.
Dieser ‚Kern’ klar definierter Schutzbestimmungen sollte von jedem Dienstleister eingehalten werden, ungeachtet der Entsendungsdauer des Arbeitnehmers.

Bei Entstehung der Entsenderichtlinie wurde sie allgemein als wichtiges Instrument im Kampf gegen ‚Sozialdumping’ verstanden, d.h. unfairer Wettbewerb auf Grundlage der Löhne und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten durch ausländische Erbringer von Dienstleistungen im (Arbeits-)Markt des Gaststaats.
Zwischenzeitlich stellt sich zunehmend die Frage, ob sie diese wichtige Funktion noch immer erfüllt, insbesondere infolge einer langen Reihe von EuGH-Urteilen, die ihren Höhepunkt mit den ‚berühmten vier’ (Viking, Laval, Rüffert und Luxemburg) fand.

Der EuGH hat die Richtlinie in den Rechtssachen Laval, Rüffert und Kommission gegen Luxemburg so ausgelegt, dass sie als Maximalrichtlinie im Hinblick auf die Aspekte, die geregelt werden können, zu betrachten ist, sowie im Hinblick auf das Schutzniveau, das verlangt werden kann, und die Methoden, die verwendet werden können, um sicherzustellen, dass die Beschäftigungsbedingungen von allen in- und ausländischen Unternehmungen in einer Region oder einem Sektor gleichermaßen eingehalten werden müssen.

Wenn Gastmitgliedsstaaten gesetzlich höhere oder andere Standards anwenden wollen oder Gewerkschaften im Gaststaat Maßnahmen ergreifen, um bessere Standards über Tarifverhandlungen zu fordern, insbesondere um ‚Sozialdumping’ zu verhindern und fairen Wettbewerb zwischen in- und ausländischen Dienstleistern zu fördern, könnte dies als Verstoß gegen Artikel 56 des neuen Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (49 EG-Vertrag) gewertet werden, d.h. als Hindernis für den freien Dienstleistungsverkehr.
Dies behindert Mitgliedsstaaten und Gewerkschaften in ihren legitimen Ambitionen, sowohl einheimische als auch entsandte Arbeitnehmer zu schützen, fairen Wettbewerb sicherzustellen und die nationalen Arbeitsbeziehungen und Tarifsysteme zu bewahren.

Daher zielt der EGB auf eine Revision der Entsenderichtlinie, um sie zu stärken und ihre Ziele der Sicherstellung des fairen Wettbewerbs, Einhaltung der Arbeitnehmerrechte bei gleichzeitiger Wahrung der Sozialrechte im Hinblick auf Tarifverhandlungen und Arbeitskampfmaßnahmen besser zu erreichen.

Um eindeutig herauszuarbeiten, welche Änderungen erforderlich sind und warum, ist es wichtig, den bestehenden EU-Rechtsrahmen zu kennen, innerhalb dessen die Entsenderichtlinie angewendet wird.

Die Grundannahme im europäischen Recht ist, dass der entsandte Arbeitnehmer ein Beschäftigter des ausländischen Dienstleistungserbringers ist und das für diesen Arbeitsvertrag geltende Recht – das in der Regel das Recht des Herkunftsstaats ist – während der Entsendung nicht wechselt, da die Entsendung von vorübergehender Dauer ist. Bei der Ausübung einer Tätigkeit im Gaststaat sind daher bestimmte Mechanismen erforderlich, um sicherzustellen, dass:
Für die aus- und inländischen Arbeitnehmer/Unternehmen die gleichen Regeln gelten, zumindest bei Kernfragen, die sich maßgeblich auf die Wettbewerbsvor- bzw. Wettbewerbsnachteile von Unternehmen und den Schutz von Arbeitnehmern (Entgelt und Arbeitsbedingungen) auswirken
Diese Situation weder missbraucht noch manipuliert wird, um die Bestimmungen im Gaststaat zu umgehen oder zu unterlaufen (beim ausländischen Unternehmen muss es sich um ein reales Unternehmen handeln, das andernorts ansässig ist, und nicht um eine Briefkastenfirma oder eine künstliche Subunternehmerkette; die Entsendung darf tatsächlich nur von vorübergehender Dauer sein; der Arbeitnehmer sollte für gewöhnlich im Herkunftsstaat beschäftigt und wohnhaft sein etc.).

Die zentrale und wesentliche Frage ist: Inwiefern, warum und unter welchen Umständen können/müssen der Arbeitsvertrag (und mögliche Tarifverträge und andere Bestimmungen des Herkunftsstaats, die für die Vertragsparteien gelten, wie Sozialversicherungs- und Steuervorschriften) eines Arbeitnehmers eines grenzübergreifenden Dienstleisters durch (gesetzliche/tarifvertraglich vereinbarte) Vorschriften des Gaststaats „verdrängt“ werden?!


Genau das soll die Entsenderichtlinie erreichen: Sie regelt, ob und unter welchen Bedingungen die Vorschriften des Gaststaats zu Entgelt und Arbeitsbedingungen (gesetzlich oder tarifvertraglich vereinbart) Vorrang haben gegenüber möglichen Gesetzen und anderen Bestimmungen des Herkunftslands (oder eines anderen Lands), die für den Arbeitsvertrag gelten.
Die nächste wichtige Frage ist jedoch, ob die Entsenderichtlinie dies angemessen behandelt. Bereits vor den ‚berühmten vier’ EuGH-Urteilen bestanden Zweifel über die Wirksamkeit der Entsenderichtlinie in der Praxis und die eventuell notwendige Revision.
Seit den vier EuGH-Urteilen haben sich diese Zweifel zu schwer wiegenden Bedenken gewandelt und der EGB vertritt seit 2008 den Standpunkt, dass eine Revision unabdingbar ist.

Bei dieser Revision sollten die folgenden Punkte behandelt werden:

Die Zielsetzungen der Entsenderichtlinie, d.h. die Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs und die Achtung der Arbeitnehmerrechte, die derzeit nur in der Präambel der Richtlinie genannt werden, müssen deutlicher im eigentlichen Haupttext der Richtlinie erscheinen. Insbesondere ein Verweis auf die Zielsetzungen der Sozialpolitik aus Artikel 136 und 137 des Vertrags, mit eindeutiger Bezugnahme auf das Ziel der ‚Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer’ würde dabei helfen, eine kohärentere Auslegung der Richtlinie herbeizuführen. Darüber hinaus verdient die Richtlinie eine breitere Rechtsgrundlage, z.B. Artikel 137 des Vertrags .

Das Grundrecht auf Tarifverhandlungen und kollektive Maßnahmen sollte als Ansatzpunkt und Druckmittel für die Gewerkschaften angesehen werden, um sowohl örtliche als auch ausländische Unternehmen dazu zu bewegen, die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Arbeitnehmern zu verbessern, und Gleichbehandlung von Arbeitnehmern einzufordern, die vergleichbare Arbeit am gleichen Ort verrichten, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit und des Niederlassungsorts ihres Arbeitgebers. Dies sollte durch die Einführung einer Zusatzbestimmung im Haupttext der Richtlinie gemäß der Monti-Klausel verdeutlicht werden.

Was genau die Freizügigkeit von Arbeitnehmern ist, sollte in den entsprechenden Vertragsbestimmungen dargelegt werden, d.h. insbesondere in Artikel 39, der im Rahmen des Gastlandprinzips stark auf das Gleichbehandlungsgebot ausgerichtet ist. Dies bedeutet unter anderem, dass das ursprüngliche Ziel der Entsenderichtlinie, nur eindeutige Situationen von befristeten Entsendungen abzudecken, in denen der Arbeitnehmer eines Dienstleisters im Rahmen einer kurzfristigen Dienstleistung ins Ausland geht, jedoch weiterhin seine Hauptbeschäftigung und seinen Wohnsitz im Herkunftsland hat und anschließend wieder dorthin zurückkehrt, deutlicher im Geltungsbereich der Richtlinie festgelegt werden muss.

Des Weiteren ist es auch wesentlich, genauer festzulegen, was eine “grenzübergreifende Dienstleistung” ist und was nicht, um zu verhindern, dass Unternehmen die geltenden Gesetze und Standards mit Briefkastengesellschaften umgehen.

Der Minimalcharakter der Entsenderichtlinie muss wiederhergestellt werden, d.h. die Auffassung, dass die Richtlinie „Mindestschutz” bietet
(Standards die angewendet werden müssen), wodurch gesetzlich oder tarifvertraglich beschlossene Standards hinsichtlich besserer Arbeitsbedingungen für die betroffen Arbeitnehmer (Standards die angewandt werden können) nicht ausgeschlossen werden, solange die Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung von in- und ausländischen Unternehmen gewährleistet ist.

Die Richtlinie sollte die verschiedenen Modelle der Arbeitsbeziehungen in den Mitgliedsstaaten eindeutiger berücksichtigen sowie Tarifverhandlungen als flexiblen und dynamischen Prozess erkennen, der – im Interesse beider Seiten der Industrie sowie der Gesellschaft als Ganzes – nicht einfach als eine weitere Regulierungsform angesehen werden kann und sollte.

Zusätzlich sollten weniger rigide Kriterien angewandt werden, um zu bestimmen, ob ein Tarifvertrag angesichts eines ausländischen Dienstleisters beibehalten werden kann, zum Beispiel in Situationen wo eine Mehrheit der örtlichen Unternehmen praktisch an diesen Tarifvertrag gebunden ist.

Den Mitgliedstaaten sollte es in ihrer Rolle als öffentliche Behörden, die öffentliche Aufträge vergeben (öffentliches Auftragswesen) mit Hilfe von Sozialklauseln ermöglicht werden, die Beachtung von Löhnen und Arbeitsbedingungen gemäß der örtlichen Tarifverträge von örtlichen sowie ausländischen Unternehmen, die Angebote abgeben, zu fordern.

Was die Mitgliedstaaten als Gesetzgeber angeht, sollten sehr restriktive Auslegungen der Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung („public policy provisions“) überarbeitet werden, um soziale Ziele und den Schutz von Arbeitnehmern einzubeziehen.

Den Mitgliedstaaten und Sozialpartner muss die Anwendung effizienter Überprüfungs- und Durchsetzungsmechanismen gestattet werden, um zum Beispiel festzustellen, ob die entsandten Arbeitnehmer tatsächlich normalerweise im Herkunftsland angestellt sind und ihre Rückkehr im Anschluss an die Entsendung vorgesehen ist.
{{

Über die Entsenderichtlinie hinaus
}}
Innerhalb des bestehenden EU-Rechtsrahmens spielt die Entsenderichtlinie eine Kompromissrolle. Sie legt keine Mindeststandards oder harmonisierte Vorschriften fest, aber definiert Koordinierungsregeln, die gleichzeitig durch die wichtige politische Entscheidung geprägt sind, die entsandten Arbeitnehmer und (wenigstens) die gesetzlich geregelten Mindestvorschriften und (allgemein verbindliche) Tarifverträge zu schützen. Daher ist sie unumgänglich. Nach der Revision wird sie besser geeignet sein, diese Rolle auszufüllen.

Es gibt jedoch verschiedene Probleme, die durch die angestrebte Revision nicht gelöst werden:

1) Artikel 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (Artikel 49 EG-Vertrag)
Allgemein hat der EuGH die Entsenderichtlinie im Kontext der Bestimmungen des EU-Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr (insbesondere Artikel 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU/früherer Artikel 49 des EG-Vertrags) als ‚Ausschnitt’ von den allgemeinen Verpflichtungen des Vertrags betrachtet, um die Hindernisse für die Freizügigkeit zu beseitigen. Alles, was darüber hinausgeht und nicht explizit durch die Entsenderichtlinie gestattet wird, gilt als Hindernis für die Freizügigkeit grenzübergreifender Dienstleistungserbringer. Es ist daher notwendig, weiter für klarere, rechtsverbindliche und an der Sozialpolitik ausgerichtete Binnenmarkt-Bestimmungen zu kämpfen.

{{2) Entsendung aus EU-Drittstaaten
}}Die Entsenderichtlinie sieht nur die Koordinierungsvorschriften für die geltenden (Mindest-)Standards innerhalb des EU-Binnenmarkts vor, setzt jedoch keine Standards für Fälle/Länder, in denen es keine oder nur wenig gesetzliche oder tarifvertraglich vereinbarte Mindeststandards gibt. In jüngerer Zeit sind Probleme aufgetreten, die durch diesen Ansatz nicht angemessen gelöst werden. Dies gilt zum Beispiel für Dienstleister aus Drittstaaten. Der EGB und seine Mitgliedsorganisationen müssen diese Fälle untersuchen, um eine angemessene politische Antwort auf nationaler und EU-Ebene zu erarbeiten. Die Verbindung zu GATS muss gründlicher bewertet werden.
{{ {
} }}3) Öffentliches Auftragswesen und ILO-Übereinkommen Nr. 94
Das ILO-Übereinkommen Nr. 94 soll verhindern, dass öffentliche Aufträge Abwärtsdruck auf Löhne und Arbeitsbedingungen ausüben. Der Ansatz, der im ILO-Übereinkommen Nr. 94 verfolgt wird, basiert darauf, dass die Bedingungen im Rahmen von öffentlichen Aufträgen nicht schlechter sein dürfen als die für Arbeiten im gleichen Bereich, die durch einen Tarifvertrag oder ein ähnliches Instrument geregelt werden. Zehn Mitgliedsstaaten haben diese Konvention ratifiziert.
Die EU-Kommission und der Ministerrat haben dieses Übereinkommen2006 in ihren Aufruf zur Ratifizierung aller bisherigen Übereinkommen aufgenommen.

Die EU muss daher sicherstellen, dass alle Mitgliedsstaaten weiterhin das ILO-Übereinkommen Nr. 94 einhalten können, muss deren Ratifizierung und Umsetzung fördern und mögliche Zweideutigkeiten in der EU-Gesetzgebung, die dem im Wege stehen könnten, lösen.

Der EGB ruft die Europäische Kommission auf, die möglichen Konflikte zwischen der Rechtssache Rüffert, der/den Richtlinie(n) zum öffentlichen Auftragswesen und dem ILO-Übereinkommen Nr. 94 zu lösen und deren Ratifizierung durch alle EU-Mitgliedsstaaten zu fördern.




Anlage und Entschließung

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